Rede zum Antrag „Retraditionalisierung von Geschlechterrollen entgegenwirken. Rollback verhindern – Frauen stärken.“

Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,

wir alle erhalten zur Zeit Emails und Briefe mit Forderungen und Vorschlägen wie die Folgen der Corona-Krise zu bewältigen seien, die Wirtschaft wieder ans Laufen kommen und Arbeitsplätze gesichert werden können, gesellschaftliches und kulturelles Leben wieder möglich wird. Sie kommen aus nahezu allen Bereichen und sehr viele haben zwei Gemeinsamkeiten:

Die erste ist, dass betont wird, wie wichtig der zu unterstützende Bereich ist.

Die zweite Gemeinsamkeit ist, dass die Forderungen und Vorschläge zur Bewältigung der Corona-Krise zum größten Teil die sind, die wir von denselben Personen und Verbänden schon vor der Krise gehört haben.

Damit will ich die Positionspapiere und Forderungskataloge gar nicht geringschätzen, denn was vor Corona richtig war, muss danach ja nicht falsch sein. Aber wenn wir- als Politik- auch in dieser Art und Weise agieren
– und die Grünen tun dies mit ihrem Antrag –
dann verstellen wir uns selbst den Blick auf neue Perspektiven und Chancen, die sich ja auch aus der Corona-Krise ergeben können – und das gilt gerade für die Frauen- und Gleichstellungspolitik.

Denn die angebliche Retraditionalisierung der Geschlechterrollen oder des Frauenbildes haben Politikerinnen der Grünen – auch aus den Reihen ihrer Landtagsfraktion – schon vor Jahren behauptet und auch in ihrem Wahlprogramm kritisieren sie traditionelle Geschlechterrollen.
Man könnte auch sagen, „Retraditionalisierung“ ist ihr traditioneller Kampfbegriff in der Gleichstellungspolitik – mit Corona hat das jedenfalls nichts zu tun.

Aber zu Ihren Traditionen gehört es offenbar, von solchen Kampfbegriffen nicht abzulassen, selbst wenn es schon Studien gibt, wie die des sozio-ökonomischen Panels beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die die These, dass Corona die Retraditionalisierung gefördert habe, widerlegen.

Ich habe vielen Emails, Briefen und Gesprächen auch entnommen, dass Frauen in dieser Krise eine Wertschätzung erfahren haben, die sie so noch nicht erlebt haben.
Viele Tätigkeiten, die sonst im Stillen und Verborgenen kaum wahrgenommen wurden, wurden von sehr vielen Menschen auf einmal als tatsächlich systemrelevant erkannt. Und das waren eben sehr oft Tätigkeiten und Aufgaben, die zum größten Teil von Frauen wahrgenommen wurden.
Wir haben in dieser Zeit ja alle viel Fernsehen geguckt:
Wenn Menschen interviewt wurden, die schilderten, wie das denn jetzt in den Supermärkten geht, wie Notbetreuung organisiert wird, wie man mit der besonderen Situation in den Altenheimen umgeht – dann waren das Frauen.
Männer hingegen haben meistens das Virus gejagt und Masken beschafft.

Und deshalb ist es auch richtig, dass insbesondere Frauen von den Notbetreuungsangeboten oder dem Pflegebonus profitiert haben. Und unter den 200.000 Mitgliedern der neuen Pflegekammer werden auch die meisten Frauen sein.

Die Corona-Krise bietet daher auch Chancen, Frauen und ihre Bedeutung für den Zusammenhalt der Gesellschaft, für wichtige Wirtschaftsbereiche, für das Sozial- und Gesundheitswesen neu zu bewerten und dementsprechend wertzuschätzen. Sie geben in Ihrem Antrag dazu auch durchaus richtige Hinweise und ich wünsche mir dazu im Fachausschuss auch eine konstruktive Diskussion.

Allerdings würde ich mir auch wünschen, wenn Sie sich dann auch einmal von Ihrer Tradition verabschieden würden, Frauen immer als benachteiligtes Opfer darzustellen.
Zum einen haben Frauen in dieser Krise bewiesen, dass sie das gerade nicht sind. Zum anderen ist das eine Denke, die manchmal auch in die Irre führt.
Natürlich stimmt es, dass es zumeist Frauen sind, die Steuerklasse V haben und natürlich stimmt es, dass dann das Kurzarbeitergeld geringer ausfällt als in Steuerklasse IV. Aber das ist dann der Fall, wenn diese Frau sich zuvor für eine ganz traditionelle Ehe entschieden hat, wenn sie sich zudem gemeinsam mit ihrem Mann dafür entschieden hat, dass er Steuerklasse III und sie Steuerklasse V hat. Damit hat sie im Übrigen auch entschieden, dass die Freibeträge, zum Beispiel auch die Kinderfreibeträge bei ihrem Mann eingetragen werden. Beides zusammen führt zu einem erheblich höheren Nettoeinkommen des Mannes und zu einem erheblich Niedrigeren der Frau.

Die beiden haben sich aber für eine gemeinsame Haushalts- und Lebensführung entschieden und haben nun gemeinsam unter dem Strich mehr netto als bei einer anderen Steuerklassenwahl.
Natürlich bildet das Steuerrecht damit ein sehr traditionelles Familien- und Geschlechterbild ab – aber eines für das sich Millionen Frauen aus guten Gründen proaktiv entschieden haben, auch wenn Ihnen das nicht gefallen mag.

Und auch in anderer Hinsicht ist ihre traditionelle Denke widerlegt:
Der Anteil der Frauen an den Kurzabeitern ist eher geringer als ihr Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat das Institut der deutschen Wirtschaft festgestellt und auch die Befürchtung, dass wegen Corona die Frauenhäuser überlaufen würden, hat sich – Gott sei Dank – nicht bewahrheitet.

Deshalb meine Bitte:
Retraditionalisieren Sie Ihr traditionelles Leitbild in der Frauen- und Gleichstellungspolitik nicht noch weiter, sondern arbeiten sie mit, wenn es darum geht, die Chancen, die sich jetzt für viele Frauen ergeben, auch zu nutzen.

Wir stimmen die Überweisung natürlich zu.

Vielen Dank.

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