Rede zum Antrag „Talente fördern und Geschlechterrollen aufbrechen: Girls’ and Boys’ Academies weiterentwickeln“

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Du kannst alles werden, was du willst.“ Du kannst alles werden, was du willst? Man sagt seinen Kindern das so leicht, aber oft bleibt es leider bei solchen Sprüchen. Uns allen, so wie mir auch, begegnet in der Tageszeitung ab und zu, alle paar Monate, ein Bericht über eine junge Frau, die in einem ungewöhnlichen – in diesem Fall ist gemeint: einem untypischen – Beruf, einem typischen Männerberuf nämlich, arbeitet und ihre Ausbildung macht.

Dann geht es darum, dass eine Frau Dachdeckerin, Zimmerin oder vielleicht auch Feuerwehrfrau ist, und es werden Fragen thematisiert, wie das mit den Toiletten und mit dem Umziehen ist und was das persönliche Umfeld zu der Berufswahl gesagt hat. Natürlich wird auch gefragt, was das für den weiteren Lebensweg dieser Frau bedeutet. Das, was man meistens erfährt, ist, dass die Verwandtschaft einen Tipp gegeben hat, wie spannend doch dieser Beruf ist. Vielleicht geht es auch darum, dass die Frau den Betrieb der Eltern übernehmen will oder Ähnliches.

Ich habe jedenfalls noch nie gelesen, dass eine junge Frau schon in der Schule auf ein Berufsfeld dieser Art aufmerksam gemacht worden ist. Im Übrigen habe ich auch nur sehr selten einen Bericht über einen jungen Mann gelesen, der in einem sogenannten typischen Frauenberuf arbeitet oder ihn erlernt.

Sie sehen, es gibt bezüglich der Berufswahl noch immer eine Menge geschlechterbezogener Denkbarrieren, und zwar sowohl bei den jungen Menschen selbst, bei ihren Eltern, ihrem Umfeld, aber auch in den Schulen, sogar dort, wo man es eigentlich gar nicht so sehr vermutet, in den Medien.

Die Folgen sind vielfältig. Wir haben einen enormen Fachkräftemangel, der in Teilen auch damit zu tun hat, dass Frauen und Männer trotz entsprechender Talente und Neigungen nicht in das adäquate Berufsfeld gehen, weil es eben nicht ihrer Geschlechterrolle entspricht. Das wird noch dadurch verschärft, dass viele irgendwann mal ihre Berufswahl bereuen, auch weil sie feststellen, dass sie sich für einen Beruf entschieden haben, der eben nicht zu ihren Neigungen passt.

Ein Viertel aller Berufsausbildungen wird abgebrochen. Das kann durchaus dramatische Folgen für den weiteren Lebensweg, für die sogenannte Erwerbsbiografie, haben. Eine weitere Folge: Wir merken zunehmend, dass in manchen Berufen ein Geschlecht einfach fehlt. Es gibt zu wenig männliche Grundschullehrer und zu wenig männliche Erzieher. Die meisten Jungen begegnen erst auf der weiterführenden Schule zum ersten Mal einem männlichen Ansprechpartner.

Umgekehrt gilt das auch. So manchem Handwerk täte es wirklich gut, wenn in ihm eine Frau tätig wäre. Wenn wir mal an die körperlichen Voraussetzungen in diesen Berufen denken: Wenn dort mehr Frauen arbeiten würden, dann käme man vielleicht eher auf die Idee, technische Lösungen zu schaffen, die ihnen und damit im Übrigen auch den Männern – helfen. Das hätte dann auch positive Effekte für den Arbeitgeber, weil Kranken- und Fehlzeiten reduziert werden.

Mit den Girls’ and Boys’ Academies hat das Land in fünf sehr unterschiedlichen Pilotkommunen gute Erfahrun gen gemacht. Sie helfen praktisch und unkompliziert, Denkmuster aufzubrechen, Denkbarrieren zu überwinden und Perspektiven zu ermöglichen. Sie sind ein attraktives Angebot, und zwar sowohl für Jungen und Mädchen, aber auch für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen. Sie können so etwas wie eine Leuchtturmfunktion in ihrem jeweiligen örtlichen Umfeld sein, wenn sie den Scheinwerfer auch mal in Ecken richten, in denen man sonst nicht nachsieht.

Wir wollen das erfolgreiche Konzept der Girls’ and Boys’ Academies daher ausbauen und weiterentwickeln. Schließlich ist es ja Sinn von Pilotprojekten, daraus für die Allgemeinheit zu lernen und die positiven Ergebnisse und Erkenntnisse möglichst flächendeckend umzusetzen.

Dafür braucht es vor Ort viele engagierte Partner:
Unternehmen, Schulen, Hochschulen, die Kommunen und andere Institutionen, und ja, es braucht auch Politikerinnen und Politiker so wie uns. Deshalb ist es auch unsere Aufgabe, den Girls’ and Boys’ Academies vor Ort in unseren Wahlkreisen zum Erfolg zu verhelfen, indem wir informieren, werben und zum Mitmachen motivieren. Das gilt übrigens auch für die Mitglieder der FDP-Fraktion. Darum brauchen wir Ihren Antrag nicht und werden ihn deshalb auch ablehnen.

„Du kannst alles werden, was du willst.“ Alle hier können mithelfen, dass das so ist. Sie können nämlich jetzt Ihre Stimme abgeben und unserem Antrag zustimmen. Darum bitten wir.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

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